Hermann und Dorothea - Goethe Johann Wolfgang (читаем бесплатно книги полностью TXT) 📗
Melpomene
Hermann und Dorothea
Also gingen die zwei entgegen der sinkenden Sonne,
Die in Wolken sich tief, gewitterdrohend, verhullte,
Aus dem Schleier, bald hier bald dort, mit gluhenden Blicken
Strahlend uber das Feld die ahnungsvolle Beleuchtung.
«Moge das drohende Wetter«, so sagte Hermann,»nicht etwa
Schlo?en uns bringen und heftigen Gu?; denn schon ist die Ernte.»
Und sie freuten sich beide des hohen, wankenden Kornes,
Das die Durchschreitenden fast, die hohen Gestalten, erreichte.
Und es sagte darauf das Madchen zum leitenden Freunde:
«Guter, dem ich zunachst ein freundlich Schicksal verdanke,
Dach und Fach, wenn im Freien so manchem Vertriebnen der Sturm draut!
Saget mir jetzt vor allem und lehret die Eltern mich kennen,
Denen ich kunftig zu dienen von ganzer Seele geneigt bin;
Denn kennt jemand den Herrn, so kann er ihm leichter genug tun,
Wenn er die Dinge bedenkt, die jenem die wichtigsten scheinen,
Und auf die er den Sinn, den fest bestimmten, gesetzt hat.
Darum saget mir doch: wie gewinn ich Vater und Mutter?»
Und es versetzte dagegen der gute, verstandige Jungling:
«Oh, wie geb ich dir recht, du kluges, treffliches Madchen,
Da? du zuvorderst dich nach dem Sinne der Eltern befragest!
Denn so strebt' ich bisher vergebens, dem Vater zu dienen,
Wenn ich der Wirtschaft mich als wie der meinigen annahm,
Fruh den Acker und spat und so besorgend den Weinberg.
Meine Mutter befriedigt' ich wohl, sie wu?t' es zu schatzen;
Und so wirst du ihr auch das trefflichste Madchen erscheinen,
Wenn du das Haus besorgst, als wenn du das deine bedachtest.
Aber dem Vater nicht so; denn dieser liebet den Schein auch.
Gutes Madchen, halte mich nicht fur kalt und gefuhllos,
Wenn ich den Vater dir sogleich, der Fremden, enthulle.
Ja, ich schwor es, das erstemal ist's, da? frei mir ein solches
Wort die Zunge verla?t, die nicht zu schwatzen gewohnt ist;
Aber du lockst mir hervor aus der Brust ein jedes Vertrauen.
Einige Zierde verlangt der gute Vater im Leben,
Wunschet au?ere Zeichen der Liebe, so wie der Verehrung,
Und er wurde vielleicht vom schlechteren Diener befriedigt,
Der dies wu?te zu nutzen, und wurde dem besseren gram sein.»
Freudig sagte sie drauf, zugleich die schnelleren Schritte
Durch den dunkelnden Pfad verdoppelnd mit leichter Bewegung:
«Beide zusammen hoff ich furwahr zufriedenzustellen;
Denn der Mutter Sinn ist wie mein eigenes Wesen,
Und der au?eren Zierde bin ich von Jugend nicht fremde.
Unsere Nachbarn, die Franken, in ihren fruheren Zeiten
Hielten auf Hoflichkeit viel; sie war dem Edlen und Burger
Wie den Bauern gemein, und jeder empfahl sie den Seinen.
Und so brachten bei uns auf deutscher Seite gewohnlich
Auch die Kinder des Morgens mit Handekussen und Knickschen
Segenswunsche den Eltern und hielten sittlich den Tag aus.
Alles, was ich gelernt und was ich von jung auf gewohnt bin,
Was von Herzen mir geht — ich will es dem Alten erzeigen.
Aber wer sagt mir nunmehr: wie soll ich dir selber begegnen,
Dir, dem einzigen Sohn und kunftig meinem Gebieter?»
Also sprach sie, und eben gelangten sie unter den Birnbaum.
Herrlich glanzte der Mond, der volle, vom Himmel herunter;
Nacht war's, vollig bedeckt das letzte Schimmern der Sonne.
Und so lagen vor ihnen in Massen gegeneinander
Lichter, hell wie der Tag, und Schatten dunkeler Nachte.
Und es horte die Frage, die freundliche, gern in dem Schatten
Hermann, des herrlichen Baums, am Orte, der ihm so lieb war,
Der noch heute die Tranen um seine Vertriebne gesehen.
Und indem sie sich nieder ein wenig zu ruhen gesetzet,
Sagte der liebende Jungling, die Hand des Madchens ergreifend:
«La? dein Herz dir es sagen, und folg ihm frei nur in allem!»
Aber er wagte kein weiteres Wort, so sehr auch die Stunde
Gunstig war; er furchtete, nur ein Nein zu ereilen,
Ach, und er fuhlte den Ring am Finger, das schmerzliche Zeichen.
Also sa?en sie still und schweigend nebeneinander.
Aber das Madchen begann und sagte:»Wie find ich des Mondes
Herrlichen Schein so su?! er ist der Klarheit des Tags gleich.
Seh ich doch dort in der Stadt die Hauser deutlich und Hofe,
An dem Giebel ein Fenster; mich deucht, ich zahle die Scheiben.»
«Was du siehst«, versetzte darauf der gehaltene Jungling,
«Das ist unsere Wohnung, in die ich nieder dich fuhre,
Und dies Fenster dort ist meines Zimmers im Dache,
Das vielleicht das deine nun wird; wir verandern im Hause.
Diese Felder sind unser, sie reifen zur morgenden Ernte.
Hier im Schatten wollen wir ruhn und des Mahles genie?en.
Aber la? uns nunmehr hinab durch Weinberg und Garten
Steigen; denn sieh, es ruckt das schwere Gewitter heruber,
Wetterleuchtend und bald verschlingend den lieblichen Vollmond.»
Und so standen sie auf und wandelten nieder, das Feld hin,
Durch das machtige Korn, der nachtlichen Klarheit sich freuend;
Und sie waren zum Weinberg gelangt und traten ins Dunkel.
Und so leitet' er sie die vielen Platten hinunter,
Die, unbehauen gelegt, als Stufen dienten im Laubgang.
Langsam schritt sie hinab, auf seinen Schultern die Hande;
Und mit schwankenden Lichtern, durchs Laub, uberblickte der Mond sie,
Eh' er, von Wetterwolken umhullt, im Dunkeln das Paar lie?.
Sorglich stutzte der Starke das Madchen, das uber ihn herhing;
Aber sie, unkundig des Steigs und der roheren Stufen,
Fehlte tretend, es knackte der Fu?, sie drohte zu fallen.
Eilig streckte gewandt der sinnige Jungling den Arm aus,
Hielt empor die Geliebte; sie sank ihm leis auf die Schulter,
Brust war gesenkt an Brust und Wang' an Wange. So stand er,
Starr wie ein Marmorbild, vom ernsten Willen gebandigt,
Druckte nicht fester sie an, er stemmte sich gegen die Schwere.
Und so fuhlt' er die herrliche Last, die Warme des Herzens
Und den Balsam des Atems, an seinen Lippen verhauchet,
Trug mit Mannesgefuhl die Heldengro?e des Weibes.
Doch sie verhehlte den Schmerz und sagte die scherzenden Worte:
«Das bedeutet Verdru?, so sagen bedenkliche Leute
Wenn beim Eintritt ins Haus, nicht fern von der Schwelle, der Fu? knackt.
Hatt' ich mir doch furwahr ein besseres Zeichen gewunschet!
La? uns ein wenig verweilen, damit dich die Eltern nicht tadeln
Wegen der hinkenden Magd, und ein schlechter Wirt du erscheinest.»