Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik - Kent Alexander (мир книг .TXT) 📗
Bolitho nickte. Cairns war achtundzwanzig, wahrend er selbst knapp einundzwanzig Jahre zahlte, aber der Abstand zwischen dem Ersten und dem Vierten Offizier war gro?er, als das Alter es ausdruckte. Er wartete ein wenig und fragte dann beilaufig:»Irgend etwas bekannt uber des Captains Mission an Land, Sir?»
Cairns schien in Gedanken.»Ruf die Toppsgasten herunter, Dick, sie sind sonst so steifgefroren, da? sie nicht zupacken konnen, wenn das Wetter schlechter wird. Der Koch soll eine hei?e Suppe ausgeben. «Er zog eine Grimasse.»Das wird dem geizigen Schmierlappen Freude machen. «Er blickte Bolitho an.»Welche Mission?»
«Nun, ich dachte, vielleicht bekommen wir neue Befehle. «Er hob die Schultern.»Oder so etwas Ahnliches.»
«Sicher, der Captain war beim Befehlshaber, aber ich bezweifle, da? wir etwas anderes zu horen bekommen als das ubliche: erhohte Wachsamkeit, Augen auf bei der Arbeit…»
«Verstehe. «Bolitho blickte zur Seite. Er wu?te nie genau, wann Cairns vollig ernst war und wann nicht.
Dieser zog seinen Rock hoher und hielt ihn uber der Kehle zusammen.»Machen Sie weiter, Mr. Bolitho.»
Sie gru?ten beide durch Handanlegen an den Hut, die Zwanglo-sigkeit fur den Augenblick beiseite lassend, dann rief Bolitho:»Fahnrich der Wache!«Er sah, wie sich eine der im Schutz des Hangemattnetzes lehnenden Gestalten loste und auf ihn zulief.
«Sir!»
Es war Midshipman** Couzens, dreizehn Jahre alt, eines der
* Kapitan eines Kriegsschiffes
** Seekadett bzw. Fahnrich zur See
neuen Besatzungsmitglieder, die kurzlich mit einem Transport aus England gekommen waren. Rundgesichtig, standig frostelnd, glich er seine Unkenntnis mit einem Eifer aus, den weder seine Vorgesetzten noch das Schiff brechen konnten.
Bolitho informierte ihn uber die zu erwartende Ruckkehr des Kommandanten sowie wegen des Kochs und lie? dann zur Wachablosung pfeifen. Diese Anweisungen gab er mechanisch, ohne sich dessen wirklich bewu?t zu sein. Dafur betrachtete er Couzens, sah aber nicht diesen, sondern sich selbst im entsprechenden Alter.
Auch er war damals an Bord eines Linienschiffes gewesen und wurde von jedermann gehetzt und schikaniert, so kam es ihm wenigstens jetzt in der Erinnerung vor. Einen aber hatte er wie einen Helden verehrt, einen Leutnant, der moglicherweise von seinem Vorhandensein kaum etwas wu?te. Bolitho jedoch hatte sich auch spater immer an ihn erinnert. Der war niemals grundlos wutend geworden, nahm auch nie seine Zuflucht zu Schikanen und Demutigungen, wenn er selbst vom Kommandanten getadelt worden war. Bolitho hatte gehofft, einmal so zu werden wie dieser Offizier. Er hoffte es noch immer.
Couzens antwortete eifrig und stramm:»Aye, aye, Sir.»
Auf der Trojan gab es neun Midshipmen, und Bolitho fragte sich mitunter, wie deren Leben spater wohl verlaufen werde. Einige wurden bis zum Flaggoffizier aufsteigen, andere dagegen vorher straucheln oder umkommen. Gewi? war unter ihnen auch die ubliche Mischung von Tyrannen und echten Fuhrernaturen, von Helden und Feiglingen.
Spater, als die neue Wache schon unterhalb des Aufbaudecks gemustert wurde, rief einer der Ausgucksposten:»Boot in Sicht, Sir!«Dann nach einer kleinen Pause:»Der Kommandant!»
Bolitho warf rasch einen Blick nach unten auf das quirlende Durcheinander beim Antreten der neuen Wache. Der Kommandant hatte sich keinen ungunstigeren Augenblick aussuchen konnen.
Er rief hinunter:»Wahrschaut den Ersten Offizier! Fallreepsposten raus, dem Bootsmann Bescheid sagen!»
Gestalten flitzten in der Dunkelheit hin und her, und wahrend die Marineinfanteristen schwerfallig zur Pforte stampften, ihre wei?en, gekreuzten Brustriemen im schwachen Licht leuchtend, versuchten die Unteroffiziere, einigerma?en Ordnung in den Haufen der neuen Wache zu bringen.
Ein Boot tauchte auf aus dem Dunst und naherte sich rasch dem Fallreep; im Bug stand bereits kerzengerade der Bootsgast, Bootshaken bei Fu?.
«Boot ahoi?»
Sofort kam die laut gerufene Antwort des Bootssteurers: «Trojan!«Ihr Herr und Meister war also zuruck. Der Mann, der — nachst Gott — jede Stunde und Minute ihres Lebens bestimmte, der belohnen, auspeitschen, befordern oder hangen konnte, entsprechend der jeweiligen Situation. Er weilte jetzt wieder unter ihnen, in ihrer uberfullten kleinen Welt.
Als Bolitho sich umsah, war Ordnung, wo vor kurzem noch Chaos zu herrschen schien. Die Seesoldaten waren angetreten, das Gewehr geschultert, kommandiert von dem sympathischen Hauptmann der Marineinfanterie d'Esterre, der mit seinem Leutnant vor der Front stand, anscheinend unempfindlich gegen Wind und Kalte.
Die Bootsmannsmaaten der Wache waren zur Stelle und feuchteten bereits die Lippen an, hatten die silbernen Pfeifen klar zum Seitepfeifen; Cairns, die Augen uberall, wartete darauf, den Kommandanten zu empfangen.
Der Bootshaken griff in die Fallreepskette, die Gewehre wurden mit lautem Griff prasentiert, die Bootsmannsmaaten pfiffen ihren schrillen Salut. Des Kommandanten Kopf und Schultern tauchten auf, und wahrend er seinen Zweispitz in Richtung Achterdeck hin luftete, lie? er zugleich einen prufenden Blick uber das ganze Schiff schweifen, uber seinen Kommandobereich.
Zum Ersten Offizier sagte er kurz:»Kommen Sie nach achtern, Mr. Cairns«, dann nickte er den Marineinfanteristen zu.»Gut gemacht, D'Esterre. «Er wandte sich abrupt um und fuhr Bolitho an:»Wieso sind Sie hier, Mr. Bolitho?»
Wahrend er noch sprach, ertonten acht Glasen [1] von der Back her.
«Sie sollten doch schon abgelost sein?»
Bolitho sah ihm ins Gesicht.»Ich nehme an, Mr. Probyn ist aufgehalten worden, Sir.«»So, das nehmen Sie an?»
Der Kommandant hatte eine scharfe Stimme, die wie ein Entermesser in das Heulen des Windes und das Knarren der Stengen schnitt.
«Die Verantwortung des Wachegehens beginnt mit der Ablosung. «Er blickte in Cairns unbeteiligtes Gesicht.»Das sollte doch nicht so schwer zu begreifen sein, denke ich.»
Sie gingen nach achtern, und Bolitho atmete tief und langsam aus.
Leutnant George Probyn, sein unmittelbarer Vorgesetzer, kam ofter zu spat zur Wachablosung, ubrigens auch zum sonstigen Dienst.
Er war ein Sonderling in der Messe, murrisch, streitsuchtig, verbittert, aber aus welchem Grund, das hatte Bolitho noch nicht herausgefunden. Er sah ihn die Steuerbord-Schanztreppe heraufkommen, vierschrotig, unordentlich, sich argwohnisch umschauend.
Bolitho trat ihm entgegen.»Die Wache ist achtern angetreten, Mr. Probyn.»
Probyn wischte sich das Gesicht und schneuzte dann in ein rotes Taschentuch.
«Ich nehme an, der Captain hat nach mir gefragt?«Selbst diese paar Worte klangen bei ihm feindselig.
«Er hat gemerkt, da? Sie nicht da waren. «Bolitho roch Branntwein und fugte hinzu:»Aber er hat sich damit zufriedengegeben.»
Probyn winkte den wachhabenden Steuermannsmaaten herbei und sah fluchtig das Logbuch durch, das dieser ihm unter eine Laterne hielt.
Bolitho sagte mude:»Keine besonderen Vorkommnisse. Ein Seemann ist verletzt und ins Lazarett gebracht worden. Er fiel vom Bootsdavit.»
Probyn schnaubte verachtlich.»Schande. «Er klappte das Buch zu.»Sie sind abgelost. «Finster brutend blickte er Bolitho nach und fugte drohend hinzu:»Wenn ich glauben mu?te, da? mir jemand hinter meinem Rucken Schwierigkeiten macht.»
Bolitho drehte sich um und verbarg seinen Arger. Meckere nicht, du Trunkenbold, die machst du dir schon selbst, dachte er.
Probyns grobe, polternde Stimme folgte ihm auf der Schanztreppe, als dieser seiner Wache die ublichen Anweisungen gab.
Wahrend er leichtfu?ig den Niedergang hinablief und dann weiterging zur Messe, uberlegte Bolitho, was der Kapitan wohl mit Cairns zu besprechen habe.
Einmal unter Deck, umfing ihn die Trojan und hullte ihn ein mit ihrer ganzen Vertrautheit. Die Geruche nach Teer, Hanf, Bilge und Menschenleibern gehorten genauso zu ihr wie ihre Bordwande.
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in diesem Fall acht Uhr abends 12