Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik - Kent Alexander (мир книг .TXT) 📗
«Tatsache ist, Mr. Cairns — «, Pears hob prufend sein Glas gegen die nachste Lampe — ,»da? man einen Krieg auf die Dauer nicht defensiv fuhren kann. New York ist ein Bruckenkopf in einem Land, das taglich rebellischer wird. In Philadelphia liegen die Dinge kaum anders. Sto?truppunternehmen, Geplankel, wir verbrennen hier ein Fort, dort einen Au?enposten, sie fangen einen unserer Transporte ab oder locken eine Patrouille in den Hinterhalt. Was ist New York? Eine belagerte Stadt. Eine Oase auf Zeit. Wie lange noch?»
Cairns schwieg und nippte an seinem Bordeaux, in Gedanken mehr bei den Gerauschen au?erhalb der Kajute, dem Heulen des Windes in der Takelage, dem Achzen der Stengen und Rahen.
Pears sah seinen abwesenden Gesichtsausdruck und lachelte in sich hinein. Cairns war ein guter Erster Offizier, vielleicht der beste, den er je hatte. Er hatte ein eigenes Kommando verdient — eine Chance, die sich nur im Kampf bot.
Aber Pears war sein Schiff wichtiger als alle Hoffnungen oder Traume. Der Gedanke, da? Sparke dann als Erster Offizier nachrucken wurde, schien ihm wie eine Drohung. Sparke war ein tuchtiger Offizier und widmete sich ganz seinen Geschutzen und sonstigen Aufgaben, aber er war phantasielos. Pears dachte an Probyn und verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Dann war da noch Bolitho, der Vierte Offizier, seinem Vater sehr ahnlich, obwohl er bisweilen seine Pflichten ein wenig zu leicht nahm. Aber seine Leute schienen ihn zu mogen, und das bedeutete in diesen harten Zeiten eine ganze Menge.
Pears seufzte. Bolitho fehlten immer noch ein paar Monate am einundzwanzigsten Lebensjahr. Man brauchte erfahrene Offiziere, um ein Linienschiff wie dieses zu handhaben. Er rieb sich das Kinn und verbarg dadurch seinen Gesichtsausdruck. Vielleicht war es bei Bolithos Jugend nur sein eigenes, fortgeschrittenes Alter, das ihm diese Bedenken eingab.
Er fragte abrupt:»Sind wir in jeder Beziehung seeklar?»
Cairns nickte.»Aye, aye, Sir. Ich konnte wohl noch ein weiteres Dutzend Leute gebrauchen, wegen der Krankheitsausfalle und Verletzungen, aber das ist heutzutage ja eine geringe Differenz.»
«Das ist es in der Tat. Ich habe erlebt, da? Erste Offiziere graue Haare bekamen, weil sie einfach nicht genugend Leute anwerben, pressen oder kaufen konnten, um uberhaupt die Anker zu lichten.»
Zur festgesetzten Zeit wurden die Turen geoffnet, und die Offiziere der Trojan — mit Ausnahme der Kadetten und der jungeren Deckoffiziere — traten nacheinander ein.
Es war kein alltagliches Ereignis, daher dauerte es einige Zeit, bis alle einen Sitzplatz auf den Stuhlen gefunden hatten, die Foley und Hogg, des Kommandanten Bootssteurer, eifrig herbeischafften. Diese Verzogerung gab Pears Gelegenheit, die Offiziere und ihre verschiedenen Reaktionen zu beobachten.
Probyn, durch einen Steuermannsmaat abgelost, hatte ein gerotetes Gesicht und auffallig glanzende Augen. Sein Auftreten wirkte zu betont sicher, um echt zu sein.
Sparke, etwas gedrechselt und steif in seiner strengen Korrektheit, und der junge Dalyell sa?en neben dem sechsten und jungsten Leutnant, Quinn, der vor funf Monaten noch Fahnrich gewesen war.
Dann kam Erasmus Bunce, der Navigationsoffizier, Sailingma-ster oder auch kurz» Master«, eine beeindruckende Erscheinung. Hinter seinem Rucken nannte man ihn» den Weisen«. Uber ein Meter achtzig gro?, breitschultrig, mit widerspenstigem, grauem Haar, hatte er tiefliegende, klare Augen, die so schwarz waren wie seine buschigen Brauen. Seine Spezialkenntnisse der Seemannschaft — schon manche hervorragende Personlichkeit war durch diese gepragt worden — hatten auch ihm ihren Stempel aufgedruckt. Pears beobachtete, wie der Master sich unter den Decksbalken rechtzeitig buckte, und war beruhigt. Bunce geno? zwar seinen Rum, aber die Trojan liebte er wie eine Frau. Unter seiner navigatorischen Fuhrung hatte sie wenig zu furchten.
Dann kam Molesworth, der Zahlmeister, ein blasser, nervos blinzelnder Mann, was Pears auf eine unaufgedeckte Unterschlagung zuruckfuhrte, und Thorndike, der Schiffsarzt, der stets zu lacheln schien. Er wirkte mehr wie ein Schauspieler als wie ein Knochen-flicker. Die beiden leuchtend scharlachroten Flecken auf der Backbordseite waren die Offiziere der Marineinfanterie, d'Esterre und Leutnant Raye: Nicht gebeten waren all die Deckoffiziere und Spezialisten, der Bootsmann, der Stuckmeister, die Steuermannsmaaten und die Zimmerleute. Pears kannte sie alle vom Sehen und Horen und kannte vor allem ihre Fahigkeiten.
Probyn fragte laut flusternd:»Mr. Bolitho scheint noch nicht hier zu sein?»
Pears runzelte die Stirn uber Probyns Scheinheiligkeit, die er verachtete.
Cairns schlug vor:»Ich werde jemanden nach ihm schicken, Sir.»
Die Tur offnete sich und schlo? sich ebenso rasch wieder, und Pears sah Bolitho auf einen freien Stuhl neben d'Esterre schlupfen.
«Aufstehen, der Offizier dort!«Pears sonst so schroffe Stimme klang beinahe freundlich.»Ah, Sie sind es, Sir. Endlich.»
Bolitho stand still, nur sein Oberkorper glich die langsamen Bewegungen des Schiffes aus.
«Ich… Ich bitte um Entschuldigung, Sir. «Er sah das Grinsen auf Dalyells Gesicht, als Wasser unter seinem Rock hervor auf den mit schwarzwei? kariertem Segeltuch bespannten Boden tropfte.
Pears sagte milde:»Ihr Hemd scheint noch ziemlich feucht zu sein, Sir!«Dann wandte er sich um und befahl dem Steward:»Fo-ley, etwas Segeltuch unter diesen Stuhl. Solche Dinge lassen sich nur schwer hier drau?en ersetzen.»
Bolitho setzte sich mit einem Plumps und wu?te nicht, ob er zornig sein oder sich gedemutigt fuhlen sollte.
Er verga? jedoch Pears atzenden Ton und sein Hemd, das er soeben klitschna? von der Leine genommen hatte, als Pears mit wieder normalem Tonfall sagte:»Wir segeln beim ersten Tageslicht, meine Herren. Der Gouverneur von New York hat eine Information erhalten, da? der von Halifax erwartete Konvoi wahrscheinlich angegriffen wird. Es ist ein gro?er Geleitzug, von zwei Fregatten und einem Kanonenboot gesichert. Bei diesem Wetter konnten die Schiffe jedoch leicht die Fuhlung verlieren, wobei dann das eine oder andere Fahrzeug zur Standortbestimmung dichter unter Land geht. «Seine Finger schlossen sich zur Faust.»Das ist dann der Augenblick, in dem der Feind zuschlagt.»
Bolitho lehnte sich vor und ignorierte das unangenehme Gefuhl der Nasse um seine Korpermitte.
Pears fuhr fort:»Ich sagte schon zu Mr. Cairns, man kann keinen defensiv gefuhrten Krieg gewinnen. Wir haben die Schiffe, aber der Feind hat die Ortskenntnis und kann dadurch kleinere, schnellere Fahrzeuge einsetzen. Um einigerma?en Aussicht auf Erfolg zu haben, mussen wir samtliche Nachschubwege offenhalten, jedes verdachtige Schiff durchsuchen oder aufbringen, unsere Anwesenheit standig fuhlen lassen. Kriege werden schlie?lich nicht mit Idealen, sondern mit Pulver und Blei gewonnen, und das hat der Feind nicht in ausreichendem Ma?e. Noch nicht.»
Finster blickte er in die Runde.
«Der Konvoi aus Halifax bringt in erster Linie Pulver und Munition, auch Geschutze fur die Garnisonen von Philadelphia und New York. Wenn auch nur ein einziges von diesen Schiffen mit seiner wertvollen Ladung in die Hande des Feindes fallt, wurden wir die Auswirkungen in den kommenden Monaten zu spuren bekommen. «Er sah sich noch einmal mit scharfem Blick um.»Irgendwelche Fragen?»
Sparke stand als erster auf.
«Wieso wir, Sir? Naturlich bin ich au?erst dankbar, auslaufen zu konnen und im Dienste meines Vaterlandes eingesetzt zu werden, um einiges von dem.»
Pears sagte kurz:»Bitte kommen Sie zur Sache.»
Sparke schluckte, seine Narbe auf der Wange wurde plotzlich blutrot.»Warum werden keine Fregatten geschickt, Sir?»
«Weil nicht genug da sind, nie genug da sein werden. Auch ist der Admiral der Ansicht, da? eine Demonstration der Starke not tut:»
Bolitho sah auf, als hatte er etwas uberhort. Es war der Tonfall des Kommandanten. Lag darin nicht eine leise Andeutung von Zweifel? Er blickte seine Kameraden an, entdeckte aber nichts in ihren Mienen. Vielleicht bildete er es sich nur ein oder suchte einen Ausgleich fur sein vorheriges Unbehagen uber Pears Ton.