Der Mann von f?nfzig Jahren - фон Гёте Иоганн Вольфганг (читать книги полностью TXT) 📗
«Das gro?te von der Welt!«rief der Lieutenant aus;»denn wer kann eine wahre Neigung empfinden, wer kann das Gluck der Liebe genie?en oder hoffen, ohne da? er dieses hochste Gluck einem jeden Freund, einem jeden gonnte, der ihm wert ist! Sie sind nicht alt, mein Vater; wie liebenswurdig ist nicht Hilarie! und schon der voruberschwebende Gedanke, ihr die Hand zu bieten, zeugt von einem jugendlichen Herzen, von frischer Mutigkeit. Lassen Sie uns diesen Einfall, diesen Vorschlag aus dem Stegreife ja recht gut durchsinnen und ausdenken. Dann wurde ich erst recht glucklich sein, wenn ich Sie glucklich wu?te; dann wurde ich mich erst recht freuen, da? Sie fur die Sorgfalt, mit der Sie mein Schicksal bedacht, an sich selbst so schon und hochlich belohnt wurden. Nun fuhre ich Sie erst mutig, zutraulich und mit recht offnem Herzen zu meiner Schonen. Sie werden meine Empfindungen billigen, weil Sie selbst fuhlen; Sie werden dem Gluck eines Sohnes nichts in den Weg legen, weil Sie Ihrem eigenen Gluck entgegengehen.»
Mit diesen und andern dringenden Worten lie? der Sohn den Vater, der manche Bedenklichkeiten einstreuen wollte, nicht Raum gewinnen, sondern eilte mit ihm zur schonen Witwe, welche sie in einem gro?en, wohleingerichteten Hause, umgeben von einer zwar nicht zahlreichen, aber ausgesuchten Gesellschaft, in heiterer Unterhaltung antrafen. Sie war eins von den weiblichen Wesen, denen kein Mann entgeht. Mit unglaublicher Gewandtheit wu?te sie den Major zum Helden dieses Abends zu machen. Die ubrige Gesellschaft schien ihre Familie, der Major allein der Gast zu sein. Sie kannte seine Verhaltnisse recht gut, und doch wu?te sie darnach zu fragen, als wenn sie alles erst von ihm recht erfahren wollte; und so mu?te auch jedes von der Gesellschaft schon irgendeinen Anteil an dem Neuangekommenen zeigen. Der eine mu?te seinen Bruder, der andere seine Guter und der Dritte sonst wieder etwas gekannt haben, so da? der Major bei einem lebhaften Gesprach sich immer als den Mittelpunkt fuhlte. Auch sa? er zunachst bei der Schonen; ihre Augen waren auf ihn, ihr Lacheln an ihn gerichtet; genug, er fand sich so behaglich, da? er beinahe die Ursache verga?, warum er gekommen war. Auch erwahnte sie seines Sohnes kaum mit einem Worte, obgleich der junge Mann lebhaft mitsprach; er schien fur sie, wie die ubrigen alle, heute nur um des Vaters willen gegenwartig.
Frauenzimmerliche Handarbeiten, in Gesellschaft unternommen und scheinbar gleichgultig fortgesetzt, erhalten durch Klugheit und Anmut oft eine wichtige Bedeutung. Unbefangen und emsig fortgesetzt, geben solche Bemuhungen einer Schonen das Ansehen volliger Unaufmerksamkeit auf die Umgebung und erregen in derselben ein stilles Mi?gefuhl. Dann aber, gleichsam wie beim Erwachen, ein Wort, ein Blick versetzt die Abwesende wieder mitten in die Gesellschaft, sie erscheint als neu willkommen; legt sie aber gar die Arbeit in den Scho? nieder, zeigt sie Aufmerksamkeit auf eine Erzahlung, einen belehrenden Vortrag, in welchem sich die Manner so gern ergehen, dies wird demjenigen hochst schmeichelhaft, den sie dergestalt begunstigt.
Unsere schone Witwe arbeitete auf diese Weise an einer so prachtigen als geschmackvollen Brieftasche, die sich noch uberdies durch ein gro?eres Format auszeichnete. Diese ward nun eben von der Gesellschaft besprochen, von dem nachsten Nachbar aufgenommen, unter gro?en Lobpreisungen der Reihe nach herumgegeben, indessen die Kunstlerin sich mit dem Major von ernsten Gegenstanden besprach; ein alter Hausfreund ruhmte das beinahe fertige Werk mit Ubertreibung, doch als solches an den Major kam, schien sie es als seiner Aufmerksamkeit nicht wert von ihm ablehnen zu wollen, wogegen er auf eine verbindliche Weise die Verdienste der Arbeit anzuerkennen verstand, inzwischen der Hausfreund darin ein penelopeisch zauderhaftes Werk zu sehen glaubte.
Man ging in den Zimmern auf und ab und gesellte sich zufallig zusammen. Der Lieutenant trat zu der Schonen und fragte:»Was sagen Sie zu meinem Vater?«Lachelnd versetzte sie:»Mich deucht, da? Sie ihn wohl zum Muster nehmen konnten. Sehn Sie nur, wie nett er angezogen ist! Ob er sich nicht besser tragt und halt als sein lieber Sohn!«So fuhr sie fort, den Vater auf Unkosten des Sohnes zu beschreien und zu loben und eine sehr gemischte Empfindung von Zufriedenheit und Eifersucht in dem Herzen des jungen Mannes hervorzubringen.
Nicht lange, so gesellte sich der Sohn zum Vater und erzahlte ihm alles haarklein wieder. Der Vater betrug sich nur desto freundlicher gegen die Witwe, und sie setzte sich gegen ihn schon auf einen lebhafteren, vertraulichem Ton. Kurz, man kann sagen, da?, als es zum Scheiden ging, der Major so gut als die ubrigen alle ihr und ihrem Kreise schon angehorte.
Ein stark einfallender Regen hinderte die Gesellschaft, auf die Weise nach Hause zu kehren, wie sie gekommen war. Einige Equipagen fuhren vor, in welche man die Fu?ganger verteilte; nur der Lieutenant, unter dem Vorwande, man sitze ohnehin schon zu enge, lie? den Vater fortfahren und blieb zuruck.
Der Major, als er in sein Zimmer trat, fuhlte sich wirklich in einer Art von Taumel, von Unsicherheit seiner selbst, wie es denen geht, die schnell aus einem Zustande in den entgegengesetzten ubertreten. Die Erde scheint sich fur den zu bewegen, der aus dem Schiffe steigt, und das Licht zittert noch im Auge dessen, der auf einmal ins Finstere tritt. So fuhlte sich der Major noch von der Gegenwart des schonen Wesens umgeben. Er wunschte, sie noch zu sehen, zu horen, sie wieder zu sehen, wieder zu horen; und nach einiger Besinnung verzieh er seinem Sohne, ja er pries ihn glucklich, da? er Anspruche machen durfe, so viel Vorzuge zu besitzen.
Aus diesen Empfindungen ri? ihn der Sohn, der mit einer lebhaften Entzuckung zur Ture hereinsturzte, den Vater umarmte und ausrief:»Ich bin der glucklichste Mensch von der Welt!«Nach solchen und ahnlichen Ausrufen kam es endlich unter beiden zur Aufklarung. Der Vater bemerkte, da? die schone Frau im Gesprach gegen ihn des Sohnes auch nicht mit einer Silbe erwahnt habe. — »Das ist eben ihre zarte, schweigende, halb schweigende, halb andeutende Manier, wodurch man seiner Wunsche gewi? wird und sich doch immer des Zweifels nicht ganz erwehren kann. So war sie bisher gegen mich; aber Ihre Gegenwart, mein Vater, hat Wunder getan. Ich gestehe es gern, da? ich zuruckblieb, um sie noch einen Augenblick zu sehen. Ich fand sie in ihren erleuchteten Zimmern auf und ab gehen; denn ich wei? wohl, es ist ihre Gewohnheit: wenn die Gesellschaft weg ist, darf kein Licht ausgeloscht werden. Sie geht allein in ihren Zaubersalen auf und ab, wenn die Geister entlassen sind, die sie hergebannt hat. Sie lie? den Vorwand gelten, unter dessen Schutz ich zuruckkam. Sie sprach anmutig, doch von gleichgultigen Dingen. Wir gingen hin und wider durch die offenen Turen die ganze Reihe der Zimmer durch. Wir waren schon einigemale bis ans Ende gelangt, in das kleine Kabinett, das nur von einer truben Lampe erhellt ist. War sie schon, wenn sie sich unter den Kronleuchtern her bewegte, so war sie es noch unendlich mehr, beleuchtet von dem sanften Schein der Lampe. Wir waren wieder dahin gekommen und standen beim Umkehren einen Augenblick still. Ich wei? nicht, was mir die Verwegenheit abnotigte, ich wei? nicht, wie ich es wagen konnte, mitten im gleichgultigsten Gesprach auf einmal ihre Hand zu fassen, diese zarte Hand zu kussen, sie an mein Herz zu drucken. Man zog sie nicht weg. ›Himmlisches Wesen‹, rief ich, ›verbirg dich nicht langer vor mir. Wenn in diesem schonen Herzen eine Neigung wohnt fur den Glucklichen, der vor dir steht, so verhulle sie nicht langer, offenbare sie, gestehe sie! es ist die schonste, es ist die hochste Zeit. Verbanne mich oder nimm mich in deinen Armen auf!‹
Ich wei? nicht, was ich alles sagte, ich wei? nicht, wie ich mich gebardete. Sie entfernte sich nicht, sie widerstrebte nicht, sie antwortete nicht. Ich wagte es, sie in meine Arme zu fassen, sie zu fragen, ob sie die Meinige sein wolle. Ich ku?te sie mit Ungestum; sie drangte mich weg. — ›Ja doch, ja!‹ oder so etwas sagte sie halblaut und wie verworren. Ich entfernte mich und rief — ›Ich sende meinen Vater, der soll fur mich reden!‹ — ›Kein Wort mit ihm daruber!‹ versetzte sie, indem sie mir einige Schritte nachfolgte. ›Entfernen Sie sich, vergessen Sie, was geschehen ist.‹»
Was der Major dachte, wollen wir nicht entwickeln. Er sagte jedoch zum Sohne:»Was glaubt du nun, was zu tun sei? Die Sache ist, dacht' ich, aus dem Stegreife gut genug eingeleitet, da? wir nun etwas formlicher zu Werke gehen konnen, da? es vielleicht sehr schicklich ist, wenn ich mich morgen dort melde und fur dich anhalte.«—»Um Gottes willen, mein Vater!«rief er aus,»das hie?e die ganze Sache verderben. Jenes Betragen, jener Ton will durch keine Formlichkeit gestort und verstimmt sein. Es ist genug, mein Vater, da? Ihre Gegenwart diese Verbindung beschleunigt, ohne da? Sie ein Wort aussprechen. Ja, Sie sind es, dem ich mein Gluck schuldig bin! Die Achtung meiner Geliebten fur Sie hat jeden Zweifel besiegt, und niemals wurde der Sohn einen so glucklichen Augenblick gefunden haben, wenn ihn der Vater nicht vorbereitet hatte.»
Solche und ahnliche Mitteilungen unterhielten sie bis tief in die Nacht. Sie vereinigten sich wechselseitig uber ihre Plane; der Major wollte bei der schonen Witwe nur noch der Form wegen einen Abschiedsbesuch machen und sodann seiner Verbindung mit Hilarien entgegengehen; der Sohn sollte die seinige befordern und beschleunigen, wie es moglich ware.
Der schonen Witwe machte unser Major einen Morgenbesuch, um Abschied zu nehmen und, wenn es moglich ware, die Absicht seines Sohnes mit Schicklichkeit zu fordern. Er fand sie in zierlichster Morgenkleidung in Gesellschaft einer altern Dame, die durch ein hochst gesittetes, freundliches Wesen ihn alsobald einnahm. Die Anmut der Jungern, der Anstand der Alteren setzten das Paar in das wunschenswerteste Gleichgewicht, auch schien ihr wechselseitiges Betragen durchaus dafur zu sprechen, da? sie einander angehorten.
Die Jungere schien eine flei?ig gearbeitete, uns von gestern schon bekannte Brieftasche soeben vollendet zu haben; denn nach den gewohnlichen Empfangsbegru?ungen und verbindlichen Worten eines willkommenen Erscheinens wendete sie sich zur Freundin und reichte das kunstliche Werk hin, gleichsam ein unterbrochenes Gesprach wieder anknupfend:»Sie sehen also, da? ich doch fertig geworden bin, wenn es gleich wegen manchen Zogerns und Saumens den Anschein nicht hatte.»
«Sie kommen eben recht, Herr Major«, sagte die Altere,»unsern Streit zu entscheiden oder wenigstens sich fur eine oder die andere Partei zu erklaren; ich behaupte, man fangt eine solche weitschichtige Arbeit nicht an, ohne einer Person zu gedenken, der man sie bestimmt hat, man vollendet sie nicht ohne einen solchen Gedanken. Beschauen Sie selbst das Kunstwerk, denn so nenn' ich es billig, ob dergleichen so ganz ohne Zweck unternommen werden konne.»