Feind in Sicht: Kommandant Bolithos Zweikampf im Atlantik - Kent Alexander (читать книги онлайн регистрации .txt) 📗
Die einander uberlappenden Marssegel und die flatternden Flaggen erweckten den Eindruck, als kame ein riesiges Ungeheuer uber die Kimm gekrochen, um ihnen Tod und Verderben zu bringen.
Er gab das Glas zuruck. Uber das Schiff an der Spitze gab es keinen Zweifel. Es war Lequillers Flaggschiff, der gewaltige Dreidek-ker Tornade. Sie war erst zwei Jahre alt und mit einhundert Kanonen bewaffnet. Besser, sich an sie zu erinnern, wie sie damals vor Anker lag und die unglucklichen Gefangenen an ihrer Gro?rah baumelten, als jetzt uber die Verheerungen nachzudenken, die ihre gewaltige Artillerie anrichten konnten.
Ohne dieses Schiff ware das Krafteverhaltnis annehmbar, wenn auch nicht ganz fair gewesen. Funf gegen drei. Aber die uberragende Feuerkraft der Tornade verschob das Krafteverhaltnis ganz gewaltig zu ihren Ungunsten.
Er pre?te den Mund zu einer dunnen Linie zusammen.
«Der Wind flaut etwas ab, Sir«, meldete Gossett verdrie?lich.»Das ist die typische Bosheit der Biskaya.»
Bolitho nickte. Wenn der Wind ganz aufhorte, wurde das ihr erstes Scharmutzel noch verheerender machen und ihre Aussichten, Lequillers Schiffe so zu beschadigen, da? er seinen Plan verschieben oder aufgeben mu?te, noch unwahrscheinlicher.
Unterhalb der Reling horte Bolitho leise Stimmen, und als er hinunterschaute, sah er einige Seeleute, die sich an den Laufbrucken hochgezogen hatten und die naherkommenden Schiffe beobachteten, wobei sie wohl die Starke des Feindes erkannten.
Das war schlecht. Auf die Annaherung des Feindes zu warten, war immer der schlimmste Teil des Gefechts. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, und wahrend der ganzen Zeit konnte man nichts anderes tun, als beobachten und uberlegen; dabei ging leicht die Zuversicht verloren und machte Verzweiflung Platz.
Bolitho winkte einem der Spielleute.»Komm her, mein Junge. «Der Trommelbube schaute angstlich unter seinem Tschako zu ihm hoch.»Kannst du auch Querpfeife spielen?«Er bemuhte sich, ihm zuzulacheln, und spurte, wie sich dabei die Haut an seinen Mundwinkeln schmerzhaft verzog.
«Jawoll, Sir!«Der Knabe zuckte aufgeregt mit den Wimpern und zog die Pfeife aus seiner Bandeliere.
In diesem Augenblick, als Bolitho versuchte, sich eine Melodie oder einen Shanty einfallen zu lassen, mit dem er die Aufmerksamkeit der Manner vom Feind ablenken konnte, ertonte aus dem Achterschiff ein schrecklicher Schrei. Er hielt auf gleicher Tonhohe immer noch an, als die Manner an den Kanonen auf den dunklen Gang hinter dem Steuerrad starrten, der zur Kajute fuhrte. Ein Ruderganger loste sogar den Griff um die Radspeichen und sah sich entsetzt um.
Der schreckliche Schrei brach ab, sein Echo schien aber noch lange in der Luft zu hangen. Bolitho bi? die Zahne zusammen und versuchte, nicht an den fetten, nackten, auf dem Tisch festgehaltenen Leib zu denken, in den das Messer des Schiffsarztes den ersten tiefen Einschnitt getan hatte.
Er fragte scharf:»Also?»
Der Trommelbube hob die Pfeife, aber seine kleinen rauhen Hande zitterten, als er sie an die Lippen fuhrte.
Gossett sagte barsch:»Wie war's mit dem Madel aus Ports-mouth«. Er warf den Kanonieren und den reglos dastehenden Seesoldaten einen drohenden Blick zu.»Los, singt, ihr Waschlappen, oder ich fahre gleich zwischen euch!»
Als ein neuer schrecklicher Schrei die Luft zerri?, wurden die schwachen Pfeifentone von den Matrosen auf dem Achterdeck aufgenommen, dann — zunachst langsam — von den Bedienungen der Zwolfpfunder und sogar von einigen Leuten oben auf den Gefechtsstanden der Masten.
Bolitho ging auf die Luvseite und hielt das Gesicht in den Wind. Die Stimmen der Manner, die lauter wurden und sich uber den Wind erhoben, das geistige Bild von Pelham-Martins Qualen, alles war Teil der Unwirklichkeit um ihn herum. Aber fast am schlimmsten waren die Worte des Liedes, das Gossett so eilig vorgeschlagen hatte, um die Schreie aus der Kajute zu ubertonen.
«Ich kannte ein Madel in Portsmouth Town.»
Es war der gleiche Shanty, den sie gesungen hatten, als die Hyperion sich an jenem bitterkalten Wintermorgen aus dem Plymouth-Sund freigearbeitet hatte.
Er wandte den Kopf, als einer von Trudgeons Gehilfen mit einem Leinenbundel aus der Hutte trat. Der Mann hielt einen Augenblick inne und lauscht dem Gesang, bevor er das blutbefleckte Bundel uber die Leereling warf.
Bolitho fragte:»Wie ging es?»
Der Sanitatsmaat zog eine Grimasse.»Ein kleiner Splitter, Sir, nicht gro?er als meine Fingerspitze. «Zornig zuckte er die Achseln.»Aber Eiter und Dreck fur zehn Manner!»
«Verstehe. «Es war sinnlos, weitere Fragen zu stellen. Der Maat war nur eine Verlangerung von Trudgeons Armen, mit denen ein Opfer festgehalten wurde; die Schrecken seines Berufs hatten ihn so abgehartet, da? er fur Gefuhle kein Organ mehr besa?.
Bolitho lie? ihn stehen und hob wieder das Teleskop. Wie schnell die franzosischen Schiffe eine Kiellinie gebildet hatten und wie unzerstorbar sie aussahen! Unter gerefften Segeln, die Rumpfe in dem eigenartigen Licht matt glanzend, schienen sie sich wie an einer unsichtbaren Schnur zu bewegen, und zwar auf einem Kurs, der mit dem der drei englischen Schiffe zusammenlief. In weiter Ferne, und durch ihr hohes Achterschiff gerade noch hinter der drauenden Schlachtlinie erkennbar, sah er die San Leandro, auf der Perez und seine Ratgeber zweifellos warteten, da? ihm der Weg fur seine Heimkehr zu Macht und Reichtum geoffnet wurde.
De Block hatte erzahlt, da? der Gouverneur von Las Mercedes schon uber siebzig Jahre alt sei. Es war unwahrscheinlich, da? er lange genug lebte, um sich seiner Heimat langere Zeit zu erfreuen, selbst wenn die Franzosen es ihm erlaubten.
Er warf das Teleskop in seine Halterung. Nun war er schon so weit, da? er ihre Niederlage in seine Gedankenkette einbaute. Nein, Lequiller wurde nicht siegen, und Perez wurde die Vernichtung seiner Verbundeten noch erleben.
Knapp drei Meilen trennten die beiden Geschwader, aber immer noch lie? sich nicht sagen, welche Schiffe die Luvposition einnehmen wurden. Es war besser, den augenblicklichen vorsichtigen Annaherungskurs beizubehalten, als die Schlachtordnung durch ein Manover in letzter Minute zu gefahrden.
Das Singen hatte aufgehort, und als Bolitho das Schiff entlang blickte, sah er, da? die Manner an ihren Kanonen standen und nach achtern, auf ihn, schauten.
Er nickte.»Sie konnen jetzt laden und ausrennen lassen, Mr. Inch. Es wird Zeit, da? wir ihnen die Zahne zeigen.»
Inch grinste und eilte davon. Minuten spater klappten die Deckel der Stuckpforten hoch und rumpelten die Kanonen auf quietschenden Rollwagenlafetten an die Verschanzung. Die Geschutzfuhrer griffen nach den Abzugsleinen und gaben leise letzte Anweisungen.
Midshipman Pascoe kam aus dem Hauptluk gerannt und meldete vom Fu? der Leiter zum Achterdeck:»Untere Batterie geladen und fertig, Sir!«Er drehte sich um und wollte zuruckrennen, als Bolitho ihn anhielt.»Kommen Sie her, Mr. Pascoe!»
Der Junge stieg aufs Achterdeck und legte die Hand an den Hut. Seine Augen strahlten, und seine sonst bleichen Wangen hatten vor Eifer Farbe bekommen.
Bolitho sagte ruhig:»Schauen Sie mal da hinuber!«Er wartete, bis der Junge auf einen Poller geklettert war, um uber die Hangemattsnetze hinwegsehen zu konnen.
Pascoe starrte eine volle Minute auf die gro?e Ansammlung von Segeln, die sich von Steuerbord voraus bedrohlich auf sie zu bewegte. Dann sprang er wieder herunter und sagte:»Das sind 'ne ganze Menge, Sir. «Er hob das Kinn, und als er ihn ansah, meinte Bolitho, da? dieses Gesicht gut in die Ahnengalerie des nun leerstehenden Hauses in Falmouth passen wurde. Impulsiv streckte er die Hand aus und fa?te Pascoe am Arm.»Passen Sie auf sich auf, Mr. Pascoe. Keine Tollheiten heute, ja?«Er griff in seine Tasche und zog das kleine geschnitzte Schiff heraus, das de Block ihm geschenkt hatte.»Hier, nehmen Sie das als Erinnerung an Ihre erste Fahrt.»